Die letzen Wochen waren, ähm interessant.
Um mich herum ist das Leben jubelnd auf die Straßen zurückgekehrt, doch ich bin davon NICHT nur erleichtert, sondern auch gestresst. Die Cafés platzen aus allen Nähten und Nachts grölen Teenies vor meinem offenen Fenster so laut, dass selbst der entspannte Fotograf von unten Abends jetzt immer seine große Bank reinstellt. Ich verstehe die Teenies und ich will gleichzeitig in Ruhe und mit frischer Luft schlafen. Was ich noch NICHT so ganz verstehe ist, warum ich den heiteren Trubel so anstrengend finde.
Lasse ich jetzt endlich meine innere Lockdown-Spannung los und spüre ich in der langsamen Entspannung überhaupt erst meine blanken Nerven?
Bin ich ruhiger in einer Krise als in ruhigen Zeiten?
Fühlt sich die Freude über ein bisschen zurückgewonnene Freiheit deshalb so schal an, weil ich dem Frieden NICHT traue und auf den nächsten Kontroll-Knaller warte?
Bin ich einfach grundlegend mit meinem Misstrauen gegenüber meinen Mitmenschen und unserem kranken System konfrontiert?
Oder habe ich gar eine posttraumatische Depression?
Nochmal anders gedacht…
Was wäre, wenn ich NICHT automatisch an meiner Wahrnehmung und an meinem Befinden zweifle?
Ich erlebe viele Menschen um mich herum, die momentan genauso herausfordernde Zeiten erleben. Das sind kluge Menschen und kreative Menschen. Das sind feinfühlige Menschen. Menschen, die mental, emotional oder körperlich so gute Antennen haben, dass sie mit ihrer Wahrnehmung oft alleine auf weiter Flur dastehen. Und sich dabei immer als „falsch“ empfinden. Ganz normale Menschen.
Manche Menschen spüren gerade tiefen Weltschmerz, alte Kindheitstraumata oder einfach dunkle und bisher mit Müh un Not ignorierte Themen, ins Licht ihres Bewusstseins treten. Ich kenne auch Menschen, die gar nicht mehr klar kommen und erschöpft im Bett liegen oder in der Psychiatrie sind, weil sie so am Rad drehen, dass ihr „normales“ Umfeld NICHT mehr mit ihnen klar kommt.
Ich habe kürzlich Pflanzenstauden für unseren Hinterhof bestellt. Mit diesen Pflanzen haben ich via E-Mail Pflanzenpässe, gemäß Pflanzengesundheitsverordnung, folgende Erklärung erhalten »Pflanzenpässe dienen der Rückverfolgung bei meldepflichtigen Pflanzenkrankheiten und sind jetzt europaweit vorgeschrieben.« WTF.
Während ich noch dabei bin, herauszufinden wo der Unterschied zwischen einem digitalen Covid EU Zertifikat und einem EU geprüften Testnachweis besteht, haben Waldmeister und Frauenmantel schon ihr Zertifikat erhalten.
Unser Nervensystem kennt mindestens zwei Wege
Ist diese krasse Schnelligkeit und die Flut an Informationen eine Sache, die so penetrant an unserem menschlichen Nervensystem kratzt? An meinem bestimmt. Ich habe große Sehnsucht nach Zeit am Feuer, Zeit im Wald, Zeit am See und Zeit in Stille. Und völlig verständlich. Denn unser Säugetier-Nervensystem ist für Auszeiten, für Rückzug und Ruhe genauso designed, als auch für Action, Input und Speed.
Erst in der Ruhe können wir das Erlebte nochmal spüren und verdauen. Ich spüre immer deutlicher, wie verletzlich alles Leben ist. Und wieviel Resilienz und Schönheit in exakt dieser Verletzlichkeit liegt. Wie sehr können wir uns zugestehen, dass wir zutiefst verletzlich und verunsichert und menschlich sind? Und wie sehr können wir zustimmen, dass wir widerstandsfähig, stark und schön sind? Wie sehr können wir zustimmen, dass Veränderungen eine der stabilsten Komponenten des Lebens darstellen?
Eine Heilerin hat mich kürzlich daran erinnert, wie wichtig es ist, alles sterben zu lassen, was NICHT zu mir gehört. Und so lasse ich täglich meine Ängst, meine Zweifel und meine Sorgen sterben, indem ich sie fühle und verdaue. Die ganz banalen und die dramatischen. Wieder und wieder und wieder und wieder.
Was ich dann spüre, ist innere Ruhe und mehr Stille in meinen sonst so aktiven Gedanken. Dann spüre ich das ganze Universum mit meinem Körper und in meinem Herzen. Jedes Herz trägt den Kosmos in sich.
Ah, und neben allen spirituellen Erkenntnissen ist es auch wirklich Gold wert, ab und zu mal zu einer guten Massage zu gehen. Eine Freundin hat mich darin bestärkt eine Thai-Massage zu buchen. Danke. Meine erste Thai Massage. 90 Minuten lang kneten, drücken, ziehen, ölen, noch mehr kneten, drücken und ziehen. Während irgendwo ein Springbrunnen plätschert und leise Klaviermusik spielt. Es war schmerzhaft und so wohltuend meine Muskeln mit weniger Spannung zu spüren, dass ich gleich den nächsten Termin vereinbart habe. Die Frau hat lange meinen oberen Rücken, die Rückseite meines Herzens und meinen Lungen geknetet. Und all die festen feinen Muskeln haben sich nach und nach entspannt.
Wenn mein Körper entspannt ist, sind meine Ängste schon „gestorben“ und ich bin emotional und mental schon ruhig. Ich glaube diese besonderen Zeiten sind dafür gemacht, dass uns keine andere Wahl mehr bleibt, als mit uns selbst Frieden zu schließen. Wenn wir denn für alle weiteren Veränderungen resilient sein wollen. Es ist Zeit herauszufinden, was wir uns wirklich wirklich wünschen. Und da bin ich dann doch mystisch geprägt und vertraue auf mein Herz, das Universum und auf meinen Körperinstinkt.
Was wünscht du dir für dich, für dein Leben und für die Welt?
(Veröffentlicht am 10.07.2021 in Matristische Moderne via Steady)