Die letzten Tage war ich mit zwei lieben alten Freundinnen in Palma. Eine von uns ist Mallorquina und seit der Geburt ihres zweiten Kindes lebt sie mit ihrer Familie wieder auf dieser schönen Insel. Wir haben die Sonne, den Strand, das salzige Wasser, auf dem es sich extrem easy treiben lässt, das Essen, die Autofahrten, die Berge, den Wind, die Gespräche und uns SEHR genossen.
Irgendwann haben wir uns auch über diese perfide Stimmung, sich für sein Glück, für Genuss, Fülle und Zufriedenheit, ein bisschen schlecht zu fühlen, unterhalten. Sei es als schlechtes Gewissen, als Schuldgefühle und Schamgefühle oder als innere Unruhe. Diese Shit-Stimmung ist oft ganz subtil und manchmal zeigt sie sich auch krass, in Form von Selbstkritik oder Selbstsabotage.
Gibt es ein sozial legitimiertes Maß an Glück und Genuss? Was befürchten wir, wenn wir Angst haben, zu sehr glücklich zu sein und zu viel zu genießen? Geht mein Glück auf Kosten deines Glücks? Was fühlst du in Bezug auf mich, wenn du denkst, dass ich glücklicher bin als du? Und was denkst du über dich, wenn du den Eindruck hast, dass ich glücklicher bin als du? Was ist, wenn du glücklicher bist als deine Mutter? Steht uns Menschen die heilige Frequenz von Glück nur begrenzt zur Verfügung? Müssen wir uns unser Glück erkämpfen?
Die Glücksforschung erzählt vom Flow, den wir erleben, wenn wir so präsent sind, dass uns das Leben wirklich interessiert. Im Flow ist alles easy. Eins kommt zu anderen und Synchronizitäten passieren. »Glück« ist also ein energetischer Zustand. In diesem Zustand spüren unbeschwerte Energiebewegungen, die wir in uns und in in unseren Begegnungen mit der Welt erfahren. Das heißt unser Fähigkeit wirklich glücklich zu sein, erzählt von unserem Umgang mit Energie und vor allem davon, ob wir mit VIEL Energie umgehen können. Faustregel lautet, je mehr Energie, desto intensiver der Flow.
Kribbeln im Körper vor Aufregung, vibrieren in den Beinen oder Brummen in den Knochen, ängstliche Kälteschauer oder wütende Hitzewallungen sind die Sprache unserer Körperempfindungen, die uns von inneren emotionalen Zuständen erzählen. Von eben diesen Empfindungen sind die allermeisten modernen Menschen jedoch seit langem abgetrennt und sie können Empfindungen nicht mehr bewusst spüren und zuordnen. Oder sie spüren noch Energiebewegungen im Körper, doch sie stehen diesen Empfindungen ambivalent gegenüber. Die meisten modernen Menschen sind gestresst von Energie, einfach deshalb, weil sie nicht wissen, was sie damit »machen« sollen. Das heißt, es gibt eine Sehnsucht nach hoch energetischen Flow-Zuständen und parallel dazu, dass ständige Bestreben, Energiezustände möglichst flach und kontrollierbar zu halten.
Der Verstand, unser Kopfgehirn, spricht eine andere Sprache als unser Körpergehirn. Der Verstand findet somatische Sprache, das heißt Empfindungen, unlogisch und damit grundsätzlich disqualifiziert als aussagekräftiges Werkzeug. Noch dazu tragen alle Menschen dieser Welt die Trauma-Spuren von patriarchaler Gewalt, Kolonisierung und Unterdrückung in ihren Körpererinnerungen. Vor diesen chaotischen und irritierenden Erinnerungen, die mehrere Generationen zurückreichen, möchte uns das ordentliche Kopfgehirn bewahren. Und so reagieren unser Säugetier-Nervensystem und unser Verstand auf starke Körperempfindungen meistens automatisch mit Stress und Abwehr. Viel Energie fühlt sich erstmal bedrohlich an.
Können wir Menschen wieder unsere natürlich intensiven Empfindungen und starke Energiefrequenzen im Körper erlauben, spüren, zuordnen und entsprechend stimmig darauf reagieren?
Ich bin sicher, wir können lernen, mit Energiebewegungen und den Erinnerungen, die daran geknüpft sind, umzugehen und auf diesem Weg unsere Traumata heilen. Manchmal geht das alleine, manchmal braucht es die Bezeugung und Begleitung durch andere Menschen und fast immer braucht es Zeit. Und vor allem braucht viel Energie genug Platz, um sich angenehm und genussvoll anfühlen zu können. Das heißt in einem entspannten und durchlässigen Körper fahren wir meist gut mit Energie. Wenn Körper weniger eng und hart sind, fühlt Energie sich meist nicht mehr nach »zu viel« an.
Bitte bewerte hier nicht! Es geht nicht um »gut« oder »schlecht«. Und natürlich ist es einfacher gesagt als getan, dich zu entspannen. Denn die Spannungen sind nicht ohne Grund da, sondern erzählen von unseren unverheilten Wunden. Doch ein Versuch ist es wert.
Spürst du wie dein Körper sich jetzt gerade anfühlt? Spürst du, wo Spannungen sind oder wo es taube Körperbereiche gibt? Was passiert, wenn du zum Beispiel die angespannten Schultern und deinen oberen Rücken ein paar Mal bewusst anspannst und dann wieder bewusst loslässt? Oder wenn du dich drei Minuten lang zu guter Musik mit ordentlichem Bass schüttelst? Atme voll, stell dich hüftbreit hin und fang von den Knien aus an, deinen ganzen Körper durchzuschütteln. Inklusive Gesicht, Finger, Po und falls du welche hast, auch deine Brüste.
Wie spürst du dich nach dieser kleinen Körperreise? Spürst du Flow? Spürst du »Glück«? Und mit Glück meine ich NICHT rosaroten Zucker, sondern Lebendigkeit. Es kann sein, dass du wütend oder traurig bist, während du präsent und lebendig und deshalb glücklich bist. Wenn wir uns in diesem lebendigen Zustand begegnen, kann ich »Glück« erfahren und von dir lernen. Denn unsere Körperwesen spüren sich die ganze Zeit. Dieses Voneinander lernen und sich zur Lebendigkeit inspirieren, ist auch eine Möglichkeit wie wir unsere Trauma-Erinnerungen in den Zellen und unsere alte Angst vor Energie heilen.
Wenn wir uns als körperlich energetische Wesen begreifen, dann sind wir auch ängstlich, wütend, traurig, lebendig und glücklich genug, um aufzuhören, den Körper der Erde und das Leben in seiner vielfältigen Magie zu zerstören. Und das ist mindestens ein Versuch wert.
(Veröffentlicht am 19.06.2021 in Matristische Moderne via Steady)