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Schlangenkraft

Mein Kopf tut weh. Das weißliche Licht von draußen sticht mir oberhalb vom rechten Auge direkt ins Gehirn. Setze ich mich auf, so dröhnt der ganze Schädel. Ich bin selten krank, es braucht drei Tage bis ich verstehe und schließlich akzeptiere, was los ist.

Ich tue mich ordentlich schwer mit dem krank sein, stecke tief drin in allen möglichen To Dos. Liege ich einfach nur da und spüre, wie mir alle Knochen wehtun, so peinigen mich zusätzlich all die Aufgaben, die ich an diesem Tag erledigen wollte. Ich merke den Sog und die Absurdität, als ich mich nochmal aufsetze, um zumindest einen Bruchteil abzuhaken, um all den Menschen abzusagen, mit denen ich in dieser Woche verabredet bin, um vielleicht doch kurz einkaufen zu gehen. Doch nein, dafür habe ich keine Kraft.

Als ich wieder liege, wundere ich mich über diese alte Angewohnheit, mich zuerst um alles andere zu kümmern, bevor ich mich mir selbst zuwende. Ich dachte, das hatte ich doch längst aufgehört, diese Rennen. Warum ist das plötzlich so augenfällig, wenn ich mich wirklich mal ausschließlich um mich selbst kümmern muss?

Ich schaue auf meine Hand, die eine große Brandwunde zeigt. Eine Wunde, die sich juckend zusammenzieht und sich auf ihre Häutung vorbereitet. Meine Schlangenkraft fordert von mir, dass ich liege und schlafe und liege und schlafe. Doch bis ins Fieber spüre ich die starke Kraft des Funktionierens. Das ist die Kraft, die mich viele meiner täglichen Aufgaben erledigen lässt. Die Kraft, die mir versichert, dass ich wertvoll und gut bin, dass ich klarkomme und überlebe.

Warum ist das so wichtig? Gehe ich insgeheim davon aus, dass ich nicht wertvoll bin, wenn ich weniger mache? Denke ich, dass ich dann nicht klarkomme? Oder wer denkt das über mich?

Die Schlange tickt anders, sie fordert, dass ich meine Gesundheit, meine Energie und meine Bedürfnisse augenblicklich an die oberste Stelle meiner Prioritäten setze. Sie empfiehlt gesunden Egoismus. Sie streift durch mein Gehirn, während mein Gehirn lahmgelegt ist. Schlaufe um Schlaufe zeigt sie mir, wie mein Funktionieren eine falsche Tugend ist und auch, wie es manchmal nötig ist zu funktionieren. Die Unterscheidung liegt in meiner Verantwortung und in der Wachheit des Moments. Sie mahnt, meine Energie gut zu hüten.

Cromlech & Serpent Goddess, Monica Sjöö, 1980, The Great Cosmic Mother (Monica Sjöö & Marbara Mor, 1987)

Persönliche Geschichte kann zur Unendlichen Geschichte werden und das hier könnte die Stelle sein, an der ich darauf eingehe, wie ich gelernt habe, mich mit den Wünschen und Bedürfnisse anderer Menschen sehr erfolgreich von meinen eigenen abzulenken. Diese Geschichte würde eine schlüssige Erklärung bieten, warum es in meinem Leben irgendwann einmal wichtig war, die Bedürfnisse der Menschen um mich herum zu spüren und zufriedenzustellen. Auch wenn das noch nie in meiner Hand lag. Ich würde verstehen, wie meine Care-Spürnase für die Welt bis heute dazu führt, dass ich regelmäßig Rückzug und Ruhe brauche.

Doch bei allem Mitgefühl für meine Lebensgeschichte, es wäre nur der Bruchteil einer Geschichte, die stets Raum für alle möglichen Interpretation bereithält. Die bereits passiert ist, die sich nicht mehr ändern lässt. Die heute ok ist. Ich weiß an vielen Stellen sehr genau, was passiert ist und welche Auswirkungen das auf mich hatte. Inzwischen ist es für mich jedoch viel interessanter, was ich durch diese Erfahrungen gelernt habe und weiter lernen möchte. Und was ist überhaupt der Unterschied zwischen einem Wunsch und einem Bedürfnis?

Gift & Medizin in sich selbst finden

Es war mir lange ein Rätsel, wie ich mich um mich selbst kümmern soll. Viele Jahre ging es auch ohne Selbstfürsorge, schließlich hatte ich genug Energie und ich konnte mich auf mein Glück und auf meine Selbstheilungskräfte verlassen. Mit der Geburt meiner Tochter dämmerte mir schockartig, dass ich nun irgendwie Care lernen musste, wenn ich die Mutter dieses Kindes sein wollte. Und dass, obwohl nichts in mir Care übernehmen wollte. Dabei war ich längst auf der Heilpraktikschule, mit all den anderen Suchenden des alternativen Kreuzbergs. Alle auf dem Weg der (Selbst)Heilung und (Selbst)Fürsorge.

Wie unmittelbar mein Wohlergehen an das meiner Tochter geknüpft ist, habe ich erst viel später verstanden. Und auch, wie wir als Menschen in einem System des Funktionierens, ab einem gewissen Punkt alle dazu aufgerufen sind, eigenständig die Fürsorge zu erlernen und zu verkörpern, die ganz individuell zu uns passt. Denn obwohl alle Menschen Luft, Wasser, Nahrung, Schlaf und Berührung brauchen, so haben wir doch alle unterschiedliche Bedürfnisse, die sich noch dazu immer wieder ändern.

Das JA zu der Übung, die es braucht bei sich selbst zu bleiben, dem eigenen Gefühl und der eigenen Wahrnehmung zu vertrauen, egal was passiert. Diese Aufgabe ist unsere eigene und ich glaube, das ist oft das schwierigste. Doch nur wenn wir selber gut versorgt sind, dann können wir uns auch voll und ganz anderen Lebewesen zuwenden.

Zu denken, dass es meine Aufgabe ist, mich (eventuell auch noch ungefragt) um die Angelegenheiten anderer Menschen zu kümmern, einfach deshalb weil ich diese wahrnehme, das ist kindlich. Sind hingegen meine eigenen Bedürfnisse satt und es ist mein echtes Interesse, dann kann ich die Wahl treffen, aus dieser Gabe meinen Job zu machen. Dann mag ich es, Menschen dabei zu unterstützen, ihre eigene Care-Kunst zu entwickeln. Damit sie für sich selbst, für ihre Wünsche und Bedürfnisse sorgen können. Wenn ich erlebe, dass Menschen sich um ihr Wohlergehen kümmern, dann macht mich das froh. Es entlastet meine alte Programmierung und es zeigt mir, dass Freiheit möglich ist.

Song: Björk, The Gate

(Veröffentlicht am 01.04.2023 auf Matristische Moderne via Steady)