Heute am 21. Dezember findet das Ereignis der Wintersonnenwende statt. In der Wechselwirkung von Erde und Sonne markiert dies den kürzesten Tag und die längste Nacht des Jahres, zumindest im nördlichen Gebiet des Wesens, welches wir „Erde“ nennen. Die Erde erreicht auf ihrer Bahn um die Sonne heute den Punkt, an dem sich die Nordhalbkugel wieder der Sonne zuwendet. Ab morgen werden die Tage langsam wieder länger und heller, die Kraft der Sonne kehrt zurück.
Die Wintersonnenwende leitet astronomisch den Winter ein, außerdem beginnen nun die Rauhnächte, eine Zeit in der die Schleier zwischen den Wirklichkeiten dünner scheinen. So sind die nächsten Tage bis in die erste Januarwoche einem langsameren Tempo gewidmet. Einem Ausruhen und Einsinken in Welten, die zwischen den Zeilen stehen und in Emotion oder im Traum zu finden sind. In diesem geheimnisvollen Raum integrieren und verabschieden sich Themen des alten Jahres und Erfahrungen fürs kommende Jahr klingen an.
Gestern haben wir den Geburtstag von Ruby gefeiert, meine Tochter das Lichtkind, welches vor 17 Jahren meterhohen Schnee nach Kreuzberg und die schönste rote Amaryllis zum Blühen gebracht hat. Selten hat mich Lebendigkeit so unerwartet und mit solcher Direktheit berührt wie in jenem Moment, als sie neugeboren und pulsierend auf meinem Brustkorb lag.
Dieses unmittelbare berührt werden von Lebenskraft macht den allermeisten Menschen große Angst, mich eingeschlossen. Vor allem deshalb, weil Menschenwesen die Praxis fehlt, sich in Intensität auszudehnen, sich darin zu entspannen. Dabei spüren wir als Körperwesen sehr genau, wie uns die Kraft des Lebendigen eine echte Heimat bietet und die Sehnsucht danach ist groß. Kein Wunder, dass so viele Menschen Extreme und Risiken in Kauf nehmen, um intensiv zu leben und sich als lebendig zu erfahren.
Das Thema der „Berührbarkeit“ hat mich frisch angetippt und es fühlt sich so an, als ob ich, zumindest was diese Materie angeht, mehr als eine Umrundung um die Sonne vollzogen habe. Nun finde ich mich auf einer anderen Ebene der Spirale wieder, bereit für die nächste Begegnung mit diesem zutiefst menschlichen Thema.
Ich möchte die Art und Weise kennen, mit der ich versuche dem Leben auszuweichen, wenn es scheinbar zu viel ist. Und ich wünsche mir in meiner Kraft zu sein, ganz gleich wie wild, wie langweilig oder wie schön das Leben sich zeigt. Ich möchte meine Angst vor Menschen nutzen, um zu spüren, wie leicht der nähere Kontakt mit einem anderen Mensch eine hohe Emotionalität in mir berührt. Die emotionale Energie, die ich in der Interaktion wahrnehme, fühlt sich sehr stark an und ich bemerke wie ich versuche der Nähe auszuweichen, um mit der Intensität umzugehen. Das „Warum“ lässt sich sehr oft in frühen Erfahrungen verorten, an denen man lange verweilen könnte. Ich habe inzwischen jedoch den Eindruck, die kindlichen Settings und Events wollen uns nicht ärgern. Vielmehr sorgen sie gründlich dafür, dass sich genau die Themen gut einprägen, die ein Mensch in diesem Leben angehen will. Andernfalls wären diese eventuell schnell vergessen.
Über die Wahrnehmung meines Körpers kann ich greifbar nachvollziehen, wie ich ganz konkret versuche, stärkeren Emotionen und Empfindungen auszuweichen. Ich ziehe beispielsweise einen Teil meines Bauches ein kleines bisschen nach innen, da bleibe ich dann wie ein scheues Tier im Versteck. Wenn ich das ohne Wertung betrachte, dann ist es hochinteressant zu merken, wie sich die Energien von Empfindung und Emotion mit leicht eingezogenem Bauch anfühlt. Noch spannender ist was ich spüre, wenn ich meinen Bauch mit Absicht loslasse und weich sein lasse, auch neben einem anderen Menschen.
Das Leben wird müheloser
Das feine Spüren meines Körpers verändert vieles: Es eröffnet mir eine Wahl, wie ich sein will neben Menschen und es ermöglicht mir zu entscheiden, was ich reinlasse und was nicht. Es verändert meine Angst, macht aus ihr ein Sprungbrett in Richtung Kraft und gibt mir die Möglichkeit, mich wirklich zu entspannen. Dann habe ich Zugriff auf einen äußerst präzisen Kompass, der mir Gefahren ebenso anzeigt wie Gleichgesinnte. Und ich erkenne eine Gabe, die ich an vielen Stellen meines Alltags einbringen kann. Doch vor allen Dingen verwandelt diese Sensibilität mich selbst, berührt sie doch einen sehr alten Schmerz, der mir den Weg nach Hause zeigt.
Bereits gegen Ende des Sommers habe ich während Zeremonien den Ruf gehört, wieder mehr Aufmerksamkeit auf meine Körperwahrnehmung zu legen. Ich weiß das ist der Weg, über den ich gut und gerne lerne, dennoch war ich kurz verwundert, schließlich beschäftige ich mich die ganze Zeit mit Menschen, mit Körperaufmerksamkeit, mit Energie und mit Wahrnehmung. Doch seit ich als Assistentin bei der brillianten Body-Mind-Ausbildung einer meiner engsten Menschen mit dabei bin, erkenne ich meine geniale Kooperation mit dem Leben.
Ich habe ich in den letzten Wochen wieder mehr ganz praktisch als Körpertherapeutin gearbeitet. Und ich merke, ich habe mich verändert. Somatisch zu arbeiten und dadurch Ängste, Scham, Terror, Liebe, Lügen, Vertrauen, Weichheit, Glückseligkeit, Muskeln und Knochen, Widerstand, den Kollaps oder den Schmerz eines anderen Menschen direkt zu berühren ist hardcore, wenn die Angst vorherrscht, sich von den intensiven Energien des Lebens anrühren zu lassen. Ist es doch gerade dieser Schritt, sich an denselben Stellen abtasten zu lassen, die dem Gegenüber eine Möglichkeit bieten, in die Erfahrung einzutauchen, um die sonst ein hoher Bogen gemacht wird.
Wenn ich mich von dem Erleben eines anderen Menschenwesen ergreifen lasse, während ich in meiner eigenen Kraft bleibe, dann können wir gemeinsam zu unbekannten Räumen und gehen und neue Erfahrungen machen. Wer wie und wann durch die gut bewachten Türen zu diesen energetischen Landschaften geht, das obliegt der erschreckend schönen freien Wahl. Sie singt ihre Lieder, während das Feuer brennt und eine heiße Tasse Tee auf uns wartet.
Ich wünsche euch allen eine kraftvolle Rückkehr des Lichts, tiefe und ruhige Raunächte- und Tage und einen frohen Übergang ins nächste Jahr. Danke für alle, die mein Leben auf ihre Art berühren.
(Veröffentlicht am 21.12.2022 auf Matristische Moderne via Steady)