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Traveling Song

Das Maha Mrityunjaya Mantra, auch Om Tryambakam genannt, ist ein Reisemantra, welches alle Übergänge und Schwelle des Lebens begleitet. Es hat den Ruf eines Mantras mit außergewöhnlicher Heilkraft. Maha Mrityunjaya Mantra bedeutet »großes lebensspendendes Mantra«. Es ist ebenso ein glücksverheißendes Mantra, als auch ein Moksha Mantra – ein Befreiungsmantra.

om tryambakaṃ yajāmahe

sugandhiṃ puṣṭivardhanam

urvārukamiva bandhanān

mṛtyormukṣīya mā’mṛtāt

Eine häufige Übersetzung ist folgende:

»OM Wir verehren Tryambaka (den dreiäugigen Gott Rudra/Shiva), den wohlriechenden, der sich um alle Wesen kümmert. Wie ein (reifer) Kürbis (Urvaruka) von seinem Stiel (abfällt), so möchte ich von Bindung (Bandhana) (an die Welt) frei werden, von der Sterblichkeit (Mrityor) zur Unsterblichkeit (Amrita) gelangen. « (1)

Dieses uralte und kraftvolle Mantra ruft den dreiäugigen hinduistischen Gott Shiva, der mit seinem mystischen Dritten Auge, die Quelle und die Einheit allen Seins sieht, welche jenseits von Dualität liegt. Die Figur von Shiva, symbolisiert die Qualität des ständigen Wandels und lässt uns die Angst vor dem Sterben verlieren. Es ist ein Mantra für alle Reisen im Leben, sei es eine Geburt, die Veränderung einer Arbeit, eine Fahrt nach Italien oder der physischer Tod.

Im Rigveda, der ältesten Heiligen Schrift Indiens, der das Mantra entstammt, ist Sterben noch ein essentieller Teil des Lebens. Ohne Tod keine Regeneration und ohne Regeneration kein Leben. Auch löst es innere Verspannung, Anhaftung und Ängste und führt zu einer Erfahrung innerer Weite und Freude. Es erlaubt Gesundheit, Vitalität und Langlebigkeit und kann somit bei allen Krankheiten und zur Genesung rezitiert werden.

Seit ich dieses Mantra zum ersten Mal gehört habe, berührt es mich. Mein Körper hat mit Gänsehaut und Glücksschauer darauf reagiert, lange bevor ich überhaupt wusste, wovon es handelt. Das geht mir nicht bei allen Mantren so!

Zeichnung von Katrin Pauline Müller

Vor einer ganzen Weile habe ich eine Körpertherapie-Ausbildung gemacht, die mich nach langer Dissoziation, wieder hat Körperempfindungen spüren lassen. In einer Mittagspause bin ich völlig fasziniert durch die Natur gelaufen, jedes Blättchen eine lebendige Schönheit. In diesem Moment habe ich deutlich gespürt, wie wir Menschen uns die ganze Zeit weniger lebendig machen. Stetig sterben wir ein Stückchen. Einfach aus Gewohnheit oder deshalb, weil wir keine Übung mit durchdringenden Erfahrungen von Lebendigkeit haben. Ohne Übung sind intensive Erfahrungen tendenziell überfordernd und wir weichen ihnen instinktiv aus.

Dabei sind wir glücklich, wenn wir uns komplett durchdringen lassen und im Innersten getroffen sind. Unser Körperwesen braucht ab und zu eine Erschütterung, um sich lebendig zu fühlen.

Ich glaube auch, die Übung des Loslassens, die Intensität, die brauchen wir als Vorbereitung für den körperlichen Sterbeprozess, dem wir eines Tages alle begegnen. Es gibt schockierende Berichte, kurz vor dem Tod zu realisieren, nicht wirklich gelebt zu haben. Von der Schwierigkeit, auf Kommando alles Gewohnte loszulassen ganz zu schweigen! Das hat mich lange beschäftigt und beschäftigt mich heute noch, gerade in diesen wilden Zeiten, in denen so viel Altes stirbt.

Der Spaziergang damals hat mich in einen intimen Kontakt mit Traurigkeit gebracht. Das war neu für mich, denn bis dahin hatte ich viel Angst vor Schmerz und ich bin diesem Schreckgespenst mit allen Mitteln ausgewichen. Es war tröstlich zu spüren, dass nicht nur ich, sondern alle Menschen Angst vor Lebendigkeit haben. Als Ausdruck meiner Menschlichkeit war es ok, Angst zu haben. Gleichzeitig habe ich alle nicht-menschlichen Wesen um mich herum gespürt, die keine Angst vor Lebendigkeit haben, und auch mit ihnen habe ich mich zutiefst verbunden gefühlt. Sie haben mich ermuntert traurig zu sein und diese Empfindung zu genießen.

Schmerz hat die Fähigkeit uns an unser Innerstes zu erinnern, falls wir es unterwegs verloren haben. Schmerz ruft das, was uns heilig ist. Mit der Erinnerung kamen Ruhe, Intuition und Schönheit zu mir zurück, und damit einhergehend das Empfinden von Kraft und von Freiheit. Das Maha Mrityunjaya Mantra trägt die Möglichkeit solch einer Rückverbindung in sich.

Wie wäre dein Leben, wenn du dich wirklich berühren lässt von dem, was dir an Erfahrungen angeboten wird? Wie wäre es, wenn du loslässt, in dem du voll eintauchst?

Lade das Mantra in deinen Alltag ein und schau was passiert! Vielleicht findest du ja einen Zugang zum Archetyp des Dreiäugigen und kannst dich von seinen Qualitäten begleiten lassen.

(Veröffentlicht am 27.01.2022 auf Matristische Moderne via Steady)

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