Hier findest du Texte aus meinem Newsletter #MatristischeModerne

Alle Wege führen nach Rom – Let’s see

Kürzlich habe ich einen kulminierten Clash mit einem anderen Menschen erlebt. Orchestriert von unterschiedlichen Faktoren kamen dabei komplexe Themen auf den Tisch. Die Wucht des Zusammenpralls hat mich tagelang verwirrt und nun, da ich wieder klarer bin, sehe ich mehrere Aspekte, die reichhaltig genug sind, um sie mir genauer anzuschauen und zu erzählen.

Gleich vorneweg, ich bewege mich seit über 20 Jahren beruflich und privat in der Berliner Blase von bewussten Therapeut*innen, Berater*innen und spirituellen Lehrer*innen. Das ist ein echt spezielles Pflaster. Denn in dieser Blase sind wir alle so weit entwickelt, dass wir gerne mal unsere eigenen Abgründe, Schatten und Schwächen übersehen und diese lieber vergessen möchten. Ich habe drei Jahre bei einem Projekt mitgearbeitet, durch das ich viel Kontakt, Begegnung und Austausch mit bewussten Lehrer*innen hatte. Die ersten Monate waren richtig schockierend, danach wurde es lustig und auf Dauer hat es mich nachhaltig nachdenklich gestimmt.

In dieser Zeit habe ich verstanden, warum ich mich in all den Jahren immer lieber als Beobachterin am Rand der spirituellen Community aufgehalten habe. Und fairerweise muss ich sagen, dass es sich viel mehr um diverse Communities handelt, als um eine Einzige. Da sind die Yogis und Yoginis aus unterschiedlichen Traditionen, welche untereinander auch nochmal Unterschiede und Besonderheiten haben. Dann gibt es die Bewegungsfreaks, die mehr oder weniger barfuß und mehr oder weniger nah und experimentell tanzen. Es gibt Schüttler*innen und Atembeschwörer*innen. Und es gibt die verklemmten, äh nein, die freien Dudes, die unter dem Codewort einer Tempel Night achtsam bewusst liebevolle Orgien veranstalten. Und einen Raum voller ausgerissener Haare hinterlassen. Außerdem wären da noch die die radikal Ehrlichen, die Empowerment Frauen oder schamanische Rituale. Und vieles mehr.

Menschlichkeit braucht unser Mitgefühl

Es gibt in diesen Szenen tolle und wache Lehrer*innen, die dem nicht gerecht werden, dass ich mich hier lustig mache. Und ich weiß, Verspotten löst das Thema nicht. Doch Humor kann bekanntlich hilfreich sein, denn die blinden Flecken, dir wir alle haben sind krass. Und sie werden umso krasser, je aufmerksamer und göttlicher wir werden. Unsere Schatten können alles sein. Vielleicht ist unser größter blinder Fleck das, was uns Liebe, Schönheit und wirkliche Gesundheit erleben lässt?

Wir alle spielen dieses Spiel aus Licht und Schatten. Ich habe Stärken und ich habe Schwächen. Ich habe blinde Flecken und Schatten, genauso wie ich hell-leuchtende Qualitäten habe. Ich bin nicht perfekt, sondern menschlich. Das ist einerseits eine beschämende und andererseits eine erleichternde Erkenntnis. Alleine aus dieser Erkenntnis könnte ich ein komplettes Trainingsprogramm basteln und mit allen Interessierten jahrelang daran forschen, dass es okay ist, menschlich zu sein. Da ist es wieder, das mich lustig machen.

Ich sehe, die Welt ist voller Suchender und unsere Rollen als Schüler*in und als Lehrer*in wechseln sich beim Suchen ständig ab. Im Kern sind wir ja immer beides und das Leben schenkt uns so viele Gelegenheiten des Lernens. Ich sehe Schüler*innen und Lehrer*innen, die davon ausgehen, dass es für sie nichts mehr zu lernen gibt. Vor allem nicht von Anderen. Dabei ist es ja so, dass wir uns gegenseitig für diese unbequeme Schattenarbeit brauchen. Denn, wie willst du deinen eigenen Schatten klar und deutlich sehen?

Kann ich anderen Menschen erlauben, mir meine Wunden und blinden Flecken zu zeigen? Kann ich zustimmen, dass ich menschlich bin? Und kann ich meine Menschlichkeit annehmen und in ihr meine größte Qualität sehen? Ich glaube, nur mit unserer Menschlichkeit können wir unsere Göttlichkeit erkennen.

Triggerwarnung…

Alle Menschen und Themen, die etwas in mir triggern, berühren mich wirklich innerlich. Alleine das ist schon große Magie. Fast immer werden dabei die Themen oder Teilaspekte meines eigenen Schattens berührt. Das Leben und das Lernen nutzt unsere menschlichen Beziehungsdynamiken schamlos aus. Ja, ich denke wir suchen uns unbewusst sehr gezielt die Menschen aus, mit denen wir den nächsten Schritt gehen und den nächsten Brocken verdauen können. Und da mindestens zwei Menschen an dieser Dynamik beteiligt sind, kommt ein Teil davon immer mir zu Gute und ein Teil davon ist immer mein Geschenk an die andere Person. Das eigentlich Tragische ist, dass wir unsere Lernpartner*innen meist nicht bewusst auswählen. Das können wir noch lernen.

Wenn ich mich darüber beschwere, dass eine Person übergriffig ist, dann kann es sehr wohl sein, dass diese Person Grenzen nicht erkennt und übertritt. In den allermeisten Fällen ist das unbewusst. So ein unbequemes Thema auf den Tisch zu legen, birgt in sich das Potential ein unbewusstes Thema sichtbar zu machen. Somit ist dieses Thema kein Schatten mehr und alleine das ist heilsam. Gleichzeitig kann es sein, dass ich nicht dafür sorge, meine Grenzen aufzuzeigen, deutlich und rechtzeitig über meine Limits zu kommunizieren und diese zu beschützen. Es kann sein, dass ich davon ausgehe, dass meine Grenzen sichtbar sind, alleine dadurch, dass ich sie innerlich fühle. Auch dieses unbequeme Thema kann ein Stück heilen, wenn es angesprochen und bewusst gemacht wird. Beide Personen könnten jetzt ihre Themen erkunden und entscheiden, wie sie bewusst damit umgehen möchten. Das ist kein Muss, sondern eine Wahlmöglichkeit, die mit Verantwortung einhergeht.

Es gibt so viele Spielarten in menschlich komplexen Beziehungsdynamiken. Oft enden sie in Schuldvorwürfen und in Rechthaberei. Denn unser Selbstbild ist durch so einen Blick in den Abgrund, leicht gekränkt und schnell gestresst. Eine unbewusst übergriffige Person möchte wahrscheinlich auf gar keinen Fall Täter*in sein und sieht sich als das unschuldige Opfer, das sie wahrscheinlich irgendwann mal war, um so ein unbewusst übergriffiges Verhalten überhaupt zu erlernen. Gleichzeitig möchte ich mich wahrscheinlich nicht zum armen Opfer, machen, wie ich es irgendwann mal gelernt habe. Und ich möchte wahrscheinlich auch nicht sehen, dass ich mich und die andere Person auch zum Täter mache, indem ich nicht über meine Grenzen spreche. So sind wir am Ende immer beide Täter und beide Opfer. Dabei möchten Therapeut*innen und spirituelle Berater*innen doch einfach nur Retter*innen sein.

Das Dreieck von Opfer, Täter*in und Retter*in als DER menschlicher Spielplatz

Die verschiedenen Communities und ihre unterschiedlichen Wege zum Seelenheil, zeigen unsere sehnsüchtige Suche raus aus diesem traumatischen Dreieck. Das ist erstmal eine Suche nach Verbundenheit mit uns selbst, sei es körperlicher, emotionaler oder seelischer Natur. Das ist eine Suche nach Verbundenheit mit anderen Menschen. Und es ist auch eine Suche nach Verbundenheit mit allem, was existiert und lebt. Es ist eine Suche nach der ewiger Verbundenheit mit dem, was wir als Gott, Göttin oder Göttliches bezeichnen.

Wir sind emotional, kognitive, astral-spirituelle Körperwesen. Um wirklich umfassendes Wohlbefinden zu erleben, brauchen wir zu allen diesen Bereichen einen Bezug. Denn nur dann, wenn wir mit allen diesen Bereichen von uns selbst verbunden sind, können wir tiefe und echte Lebendigkeit, Kraft, Sicherheit, Ruhe, Liebe, Vertrauen und Wohlbefinden erfahren. In dieser Ganzheitlichkeit und Harmonie können wir langfristig nur zuhause sein, wenn wir auch unsere Schatten ignorieren.

Welchen Weg gehst du in deinem Leben?

Bist du dir im Klaren darüber, welchen Weg du gehts? Hast du diesen Weg bewusst gewählt? Weißt du warum und wofür? Und wie sehr ist dein Weg wirklich dein eigener Weg oder folgst du einfach blind einer Tradition, einer Methode, einem Guru oder Lehrenden, einer schönen Vorstellung oder einer alten Erwartung? Wer und was inspiriert dich auf deinem Weg? Kannst du dich inspirieren lassen und gleichzeitig original und echt bleiben? Und wie stehst du dazu, dass du Menschen berührst und inspirierst, dass Menschen dich und deine Ideen mehr oder weniger bewusst kopieren, nachmachen und zu ihrem eigenen machen? Besteht dein Weg vielleicht aus verschiedenen Pfaden, aus denen du deinen ganz eigenen Weg webst? Wie kommst du mit der Komplexität dieses Gesamtkunstwerks klar? Kannst du Widersprüchlichkeiten miteinander im Raum stehen lassen?

Oft geben Lehrer*innen ihre Ansätze und Ideen als ihre selbst entdeckte Wahrheit aus, die wir uns dann Wort für Wort bei den Senior Lehrer*innen ihrer Tradition auf YouTube anhören können. Oder all die Online-Videopakete und Programme, die nach einem ähnlichen Muster ablaufen und oft auch noch zum Verwechseln ähnlich heißen. Gehen wir allen denselben Weg? Ja und Nein.

Ich frage mich, welchen Wege wir überhaupt noch folgen würden, wenn wir unsere persönlichen Geschichten, die unsere Identität so grundlegend definieren, konsequent bis zur Wurzel aufräumen, verarbeiten und heilen würden. Denn dieser Weg in die Vergangenheit, liegt vor allen Suchenden. Können wir so das altbekannte Trauma-Dreick von Täter*in, Opfer und Retter*in verlassen und uns endlich auf neue und unbekannte Wege machen? Wege die vielleicht wirkliche Innovation und Begegnung bereithalten?

Wie oben, so unten. Wie unten, so oben

An sich bieten die meisten der zuvor beschriebenen Communities und Traditionen Möglichkeiten an, unsere persönlichen Geschichten zu verstehen, zu integrieren und zu heilen. Und doch verlassen wir damit selten die engen Grenzen der Spielarten von Täter*in, Opfer und Retter*in. Wir brauchen oft eine deutlich andere Bewusstseinsebene, um diesen bekannten Raum verlassen zu können. Das wussten schon die Hippies und auch heute noch werden bewusstseinsverändernde Zugänge genutzt. Sei es über Trips mit Substanzen wie Acid, Magic Mushrooms oder MDMA, in Form von Trance Dance oder psychedelisches Atmen, über den Aufstieg der Kundalinikraft, die Vereinigung der männlichen und der weiblichen Kraft im Dritten Auge, über das Zurückkehren in den Uterus von Mutter Erde bei Schwitzhütten oder über das Reisen mit dem Kakaospirit und bei Zeremonien mit heiliger Pflanzenmedizin.

Zurück zu den Wurzeln

Du siehst, auch auf den klar bewusstseinverändernden Wegen gibt es viele Möglichkeiten. Hier treffen wir auf individuellen Geschmack und hier scheiden sich die Geister oft noch vehementer daran, ob du den notwendigen bewusstseinverändernen Sprung unabhängig aus eigener Kraft oder abhängig von einer anderen Kraft gehen willst. Denn ja, hier tut sich nicht nur die Frage auf, ob mit oder ohne Guru, Heiler*in oder Schaman*in lernen, sondern zusätzlich kommt hier die Frage auf, ob mit oder ohne Substanz, Droge und Medizin lernen.

Es gibt Suchende, die würden sich ohne die Unterstützung und ohne den kräftigen Tritt eines Gurus oder einer Substanz, nie dazu bewegen, die Ebene des Bewusstseins zu wechseln. Und es gibt Suchende, die wollen alles selbst machen und alles unter ihrer Kontrolle behalten. Je heftiger die Haltung, desto lauter höre ich die unbewussten Schatten der Vergangenheit. Und solange die Haltungen unbewusst befeuert werden, können sie noch dazu wie ein Pendel zwischen beiden Extremen hin- und herschwingen kann. Im Zwischenraum dieser Extreme gehen wir unsere individuellen Wege. Ich glaube das Leben liebt Vielfalt.

Im Raum der Bewusstseinsveränderung werden die tiefen Themen von Abhängigkeit und Unabhängigkeit, Macht und Ohnmacht, Kontrolle und Vertrauen, sowie die Hingabe ans Leben und ans Sterben verhandelt. Das ist echte schattige Wurzelarbeit.

An diesen Wurzeln können wir uns bei allen Entscheidungen oder Nicht-Entscheidungen, bei allen Weggabelungen, bei allen Clashs und bei allen Ängsten, Schmerzen und Herausforderungen, äh Challenges, treffen und beobachten. Hier können wir uns im besten Sinne selbst kennenlernen. Daraus enstehen Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit und Selbstwert. Und es zeigen sich die Grundthemen unseres Lebens und die nächsten Schritten auf unseren Wegen. Hier plädiere ich ganz klar dafür, seiner eigenen Wahrheit und seinem Wesen treu zu sein. Und ja, wenn wir uns das zur obersten Verpflichtung machen, dann kommen wir auch nicht drum herum, uns selbst anzunehmen und zu lieben. Mit allem, was wir sind.

Dann kann ich mich mit allem sehen und ich kann dich mit allem sehen. Und wir können unsere Wege, Communities, Geschichten, Haltungen und Konflike als das sehen, was sie im Kern sind. Als Lernmöglichkeiten. Und dafür bin ich allen Wesen, die mich inspirieren, berühren und triggern, zutiefst dankbar. Denn ich glaube, komplett aus uns selbst heraus, würden auch die Diszipliniertesten, die Ambitioniertesten und die Klügsten unter uns, diese kostbaren Gelegenheiten, von schattiger Wurzelarbeit verpassen. Die Suche nach uns selbst braucht unseren Austausch. Denn wir sind im besten Sinne voneinander abhängig und immer wechselseitig miteinander verbunden.

(Veröffentlicht am 15.04.202 in Matristische Moderne via Steady)

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