… und warum Schmerz ein Ausdruck von Liebe ist…
Manchmal tut das Leben weh.
Ich hatte in den letzten zwei Jahren eine Entzündung in mehreren Zähnen im Oberkiefer, bei der alle Zahnärzt:innen, die ich aufgesucht habe, mehr oder weniger ratlos waren. Eine Odyssee mit unzähligen Terminen bei „meinem Team“, bestehend aus meinem Zahnarzt und seiner Kollegin, bei zwei befreundeten Zahnärztinnen, zwei Physiotherapeuten, meiner Cranio-Sacral Therapeutin, einer Chiropraktikerin in Kolumbien, meinem Hausarzt und nun zuletzt bei einem Endodontologen, einem spezialisierten Zahnarzt für komplizierte Wurzelkanalbehandlungen.
Während dieser Zeit habe ich realisiert, dass ich seit meiner Teenager-Zeit
anhaltende Schmerzen im Körper habe. Manchmal schlimm, manchmal ok.
Dauerschmerz, egal ob körperlich oder seelisch, ist absoluter Stress fürs System. Dauerschmerz macht mürbe und müde, schleift Nerven dünn und färbt Gedanken dunkel. Dauerschmerz geht oft Hand in Hand mit Verzweiflung, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit.
Schmerz (und die Angst vor dem Schmerz) kann als Feind betrachtet werden, gegen den ich ein Leben lang ankämpfen oder vor dem ich weglaufen muss. Als etwas, dem ich mich ergeben oder konstant betäuben muss. Diese Haltung kostet viel Kraft und häufig sind hohe Spannungszustände, noch mehr Schmerz, Angststörungen, Depressionen Aggressionen Ausdruck und Preis dieser Perspektive.
Ich kann Schmerz jedoch auch als Hinweis des Lebens wahrnehmen, dass ich vielleicht etwas verloren habe, was mir wichtig war. Das ich einen Moment brauche, um diese Erfahrung zu verarbeiten. Vielleicht erzählt Schmerz auch von einer Sehnsucht, dass ich etwas vermisse und dass mein Leben Bewegung und Veränderung braucht. Schmerz möchte gehört werden und als Schutz dienen. Als etwas, dass für mich sorgt und mein Bestes will.
Es wäre gelogen, wenn ich sage, dass ich Schmerz mag.
Und doch hat mich der Dauerschmerz in meinen Zähnen daran erinnert, dass mein Körper und mein Leben kostbar ist.
Er hat mein Mitgefühl für mich selbst und für meine Mitmenschen gedehnt.
Er hat mich eingeladen ALLE meine Emotionen noch viel freier fließen zu lassen und sie als Schutz meiner Bedürfnisse und Grenzen zu achten.
Er hat mir sehr deutlich gezeigt, welche Lebensbereiche, Situationen, Beziehungen und Themen eine Veränderung brauchen.
Er hat mich einen nächsten Schritt in Richtung Geduld und Vertrauen gelehrt.
Ich lerne seit langer Zeit wieder eine nahe Beziehung mit meinem Körper zu führen, ihm zuzuhören und seine Sprache aus Empfindung und Bewegung zu verstehen. Darüber finde ich Zugang zu etwas, was ich als Seele bezeichnen könnte.
Und weil ich diesen somatischen Weg so faszinierend und hilfreich finde, begleite ich nun schon seit fast 20 Jahren auch andere Menschen dabei, die Sprache ihres Körpers zu lernen, und sich wieder an sich selber zu erinnern.
In all diesen Jahren habe ich mich oft gefragt, warum das Leben mich so nah dran haben will an Menschen. So nah dran an Empfindungen und Emotionen. Nah dran an all den Horror-Stories und dem Leid, dass in einem Menschenleben passieren kann. Ich habe immer wieder damit gehadert. Habe das als zu stressig und zu anstrengend empfunden. Bin viele Male weggelaufen. Und immer wieder zurückgekehrt.
Warum?
Weil meine Liebe zum Leben, meine Liebe zu Menschen stärker ist als meine Angst vor dieser Liebe. Weil Schmerz auch ein Teil dieser Liebe ist.
Ich lerne gerade, dass ich Menschen lieben kann, auch dann wenn ich nicht immer alles mag, was ein Mensch macht oder sagt. Dass es zutiefst menschlich ist, schöne und weniger schöne Seiten zu haben. Dass diese Menschlichkeit vielleicht das wichtigste ist in meinem Alltag als Mensch neben Menschen und in meiner Arbeit mit Menschen.
(Veröffentlicht am 13.06.2025)