#3 Riechen und #4 Schmecken
Das Riechen gilt als letzter der Fernsinne, der vom Gehirn heraus projiziert wird und es erlaubt, räumlich Entferntes wahrzunehmen und einzuordnen. Der Geruchssinn gilt häufig als weniger wichtig als das Hören und Sehen, obwohl das natürlich völliger Quatsch ist…
Wir riechen, indem mit der Atemluft Duftmoleküle in die Nase gelangen und diese an den Rezeptoren der Riechsinneszellen (das sind Nervenzellen bzw. regenerative Neuronen) in der mehrschichtigen Nasenschleimhaut andocken. Diese Zellen wandeln die chemischen Signale der Moleküle in elektrische Impulse um und werden über den Riechnerv ans Gehirn weitergeleitet, wo sie als Gerüche interpretiert werden.
Doch es gibt noch andere Wege, die Welt um uns zu riechen: Über den Trigeminus Gesichtsnerv oder über das Jacobson Organ, das vorne an der Nasenscheidewand liegt und Pheromone detektiert. Pheromone sind kleine Moleküle, die vielen Tieren als Sozialwirkstoffe dienen. Pheromone wirken direkt auf das Limbische System und somit auf Furcht, Wut, Aggressionen und unser Sexualverhalten. Außerdem wirken sie auf den Hypothalamus, der das wichtigste Steuerzentrum des vegetativen Nervensystems ist und so essentielle Dinge reguliert wie die Körpertemperatur, die Nahrungsaufnahme, den Schlaf-Wach-Rhythmus und erneut das Sexualverhalten. Der Hypothalamus reguliert viele wichtige Drüsen und damit Hormone. Er leitet die Pubertät ein, veranlasst den monatlichen Eisprung bei der Frau und schüttet Oxytocin aus während der Geburt.
Obwohl die Bedeutung der Pheromone enorm ist, sind diese beim Menschen bislang wenig erforscht. Lange Zeit wurden sie einfach als verkümmerte Funktion abgetan, die irgendwie ins Tierreich gehört. Bei näherer Betrachtung wackelt dieser Standpunkt jedoch gewaltig, da ihre Wirkung weitreichende Folgen hat. Ein bekanntes Beispiel für den Zauber der Pheromone ist, dass Frauen, die länger zusammenleben, häufig ihren Menstruationszyklus einander angleichen.
Wofür riechen wir?
Die olfaktorische Wahrnehmung dient der Einordnung und Unterscheidung von Gerüchen. Sie informiert über große Entfernungen über mögliche Nahrungsquellen und schützt vor verdorbenem Essen, vor Gas oder Feuer. Das Riechen erzählt von Sicherheit und von Gefahr, es will uns beschützen.
Das Riechen beeinflusst die Partnerwahl und die Unterscheidung von Freund und Feind. Wir riechen Lebewesen, Orte, Erinnerungen und Emotionen. Und wir vergleichen jeden Duft mit unserer intern angelegten Bibliothek, die Grunddüfte und alle möglichen Kombinationen speichert, unterscheidet und abrufen kann. Obwohl ein Mensch von Geburt an riechen kann, bedeutet Geruchssinn auch das Erlernen von komplexen Mustern, die uns Orientierung im Raum bieten.
Wir riechen Stimmungen und Emotionen im Raum. Wir haben einen Riecher für Dinge und manche Menschen können wir nicht gut riechen. Geruch ist etwas sehr intimes. Wirklich riechen tun wir nur an den Menschen, denen wir uns nah fühlen. Die künstlichen Duftwolken um Menschen und um Orte erzählen von der weitreichenden Bedeutung des Geruchs, verstecken die allermeisten Menschen doch allen Eigengeruch hinter Deo, Parfum und Körperlotion. Wir locken unsere Mitmenschen sozusagen konstant auf eine falsche Fährte. Wir rümpfen die Nase über Schweiß, Hautfett, Rauch oder Knoblauch. Oder wechseln das Abteil, wenn ein obdachloser Mensch in der U-Bahn sitzt. Wir lieben den Geruch von Kaffee und frischem Brot am Morgen. Sonne auf der Haut riecht auch ohne Sonnencreme. Küsse ebenso. Ich liebe den Geruch der Katze, die mit uns lebt. Sie riecht fein und warm und sie tarnt sich ganz schnell mit dem Geruch ihrer Umgebung an. Sie riecht nach uns. Sie riecht nach Zigaretten, wenn sie bei unserem Nachbar in der Wohnung war. Nach dem Treppenhaus und dem Katzenklo. Wenn wir aneinander riechen, so erzählt das von Instinkt, von Vertrauen, von Interesse und von dem Wunsch nach Nähe. Unser Geruchsinn klärt als erstes die ganz grundlegenden Dinge: Wenn du (für mich) gut riechst, dann bist du (für mich) sicher und ich bin gerne da. Das scheint mir doch ein sehr hilfreicher Sinn zu sein, dem ich folgen und vertrauen möchte.
Und dann schmeckt alles gut
Um riechen zu können, müssen wir durch die Nase atmen. Die Qualität des Riechens ist also stark davon abhängig, wie ein ein Mensch atmet und ob er seine Nase benutzen kann. Menschen, die durch den Mund atmen, riechen deutlich weniger. Atmung bedeutet auch Energie und Präsenz. Voll da sein im Hier und Jetzt. Spannend, dass wir in einem Zustand von mehr Energie offenbar automatisch besser riechen.
Und auch der Geruch und der Geschmacksinn sind untrennbar miteinander verbunden. Beide Sinneseindrücke gleichen sich konstant ab und beflügeln sich in ihrer Existenz und Qualität. Halte dir mal die Nase zu, während du etwas isst. Du wirst schnell merken, dass du nur noch die sehr starken Geschmacksnoten herausschmeckst. In der kulinarischen Welt wird dieser Umstand sich mit Absicht zu eigen gemacht, es wird mit allen möglichen Zutaten, Düften und Geschmackskombinationen gespielt, um einen bestimmten Geschmack zu erreichen oder um den Gesamtgenuss zu steigern. Meist beruht dieses Spiel auf Tiefe, auf Komplexität und auf Überraschung. Kommt ein feines Knacken und leichter Rauchnebel dazu, ja dann versinkt die sinnliche Wahrnehmung wie von alleine in einem tranceartigen Zustand von gegenwärtiger Sinnlichkeit.
Ich hoffe, es gibt noch ein bisschen mehr Schnee und Eis, damit wir den Winter auch wirklich riechen können. Bevor die Knospen und frisches Grün den Frühling verkünden.
(Veröffentlicht am 11.01.2024 auf Matristische Moderne via Steady)