Hier findest du Texte aus meinem Newsletter #MatristischeModerne

1001 Möglichkeiten

Dieser Newsletter folgt der Frage nach den mindestens 1001 Möglichkeiten, die wir als Menschen in die Verkörperung bringen können. Jeder Mensch als lebendiger Ausdruck von schöpferisch erschaffender Kraft, die alles Lebendige durchströmt. Eine Kraft, mit der wir unser Leben ausrichten – entweder nach alten Erfahrungen, Verletzungen, Erwartungen und Befürchtungen oder nach unseren Träumen, Wünschen und Lebensaufgaben. Wobei die persönliche Geschichte eines Menschen wahrscheinlich stets Teil seiner Lebensaufgaben und Herzenswünsche ist. Und ohne, dass »entweder« besser ist als »oder«, vielmehr stellen sie zwei Wege zu diesen 1001 Möglichkeiten dar.

Als ein Erfahrungen erschaffendes Wesen macht es Sinn, ab und zu genau hinzuschauen, WELCHE Erfahrungen ich erschaffe und nach WAS und WIE ich mein Leben ausrichte. Ist es wirklich das, was mein Leben braucht und was gut passt? Ist es das, was ich mir wünsche, was mich glücklich, frei, lebendig sein lässt? Allein die Einsicht, dass ich hier eine Wahl habe, empfinde ich als ungemein kraftvoll. Versetzt sie mich doch in eine Position, die mir Freiheit, Wirksamkeit und Verantwortung zugesteht.

Mein persönlicher »Wille«, mit dem ich dem Leben begegnen möchte, ist von der Intention geprägt offen, leicht, weich, entspannt und klar zu sein. Weil sich dieser Zustand für meinen Körper, meine Seele und meinen Geist gut anfühlt. Und weil mir dieser Wille dabei hilft, das Leben in seiner ganzen Tiefe und Vielfalt zu erspüren, so dass ich Nähe und Zugehörigkeit erfahren kann. Verbundenheit mit mir selbst, mit anderen Menschen, mit Emotionen, Empfindungen, Gedanken, Ideen oder Orten. In dieser Verbundenheit liegt für mich viel von dem, was mir wichtig ist: Vertrauen, Ruhe, Humor, Genuss, Loyalität, Qualität, Friedfertigkeit, Verständnis, Neues, Fürsorge, Gerechtigkeit und Freiheit.

Es gibt Zeiten in meinem Leben, da stehen einzelne dieser Werte im Vordergrund und andere spielen eine kleinere Rolle. Zu anderen Zeiten greifen alle ineinander. Und manchmal, da gibt es Zeiten und Situationen, da widersprechen sich manche vehement. Doch gerade in dieser auch ungemütlichen Reibung, befördern sie noch grundlegendere Werte zu Tage, die von meinem tieferliegenden Willen erzählen. So wie Diamanten durch den großen Druck und die Hitze in der Tiefe der Erde so hart werden, dass sie nach einem Schliff (durch einen anderen Diamanten) heller funkeln als die Sterne am Nachthimmel.

Es ist ein bisschen wie im Märchenland

Schließlich gibt es mehr als 1001 Möglichkeiten wahrzunehmen und die Welt zu erfahren, was ebenso 1001 Wahrheiten ermöglicht. Wir alle leben Haltungen und Blickwinkel, die von unserer Geschichten, unseren Wünschen und unserem Willen erzählen. Die Frage ist vielmehr, wie bewusst gewählt wir unser Leben verkörpern. Interessiert mich eine Wahlmöglichkeit? Interessiert es mich Verantwortung zu übernehmen? Will ich die Vielfalt des Lebens anerkennen und wertschätzen, anstatt jede Andersartigkeit als Bedrohung zu empfinden und sie zu bekämpfen?

Zugleich muss und will ich nicht alle Wahrheiten in diesem Raum nah an mir dran haben. Vielleicht gibt es Absichten, die sind so weit weg von meinen eigenen, dass sie tatsächlich gefährlich oder schlicht unschön sind. Manche Erfahrungen laden zu Weichheit ein und andere Erfahrungen fordern dazu auf, die eigenen Grenzen und damit das eigene Wohlbefinden zu verteidigen und zu schützen. Es gibt Menschen, die teilen nicht die Grundabmachung eines menschlichen Einfühlungsvermögens. Die wollen kein friedliches Miteinander. Alleine diese Möglichkeiten in all seiner Wucht wirklich zu spüren, ist etwas, das mich definitiv in ein inneres Dilemma mit meinem gewählten Willen bringt, beziehungsweise nach einer Neuausrichtung fragt.

Bleibe ich meinem Willen gegenüber loyal und ich bin offen und weich, so bleibe ich zwar im nahen Kontakt mit dem Leben, doch es gibt keinerlei Illusion mehr über das, was ich spüre. Klarheit kann erschreckend und schmerzhaft sein. Klarheit fordert Offenheit, Leichtigkeit, Weichheit, Loyalität, Gerechtigkeit und Freiheit heraus. Sie lädt dazu ein, einen Schritt weiter zu gehen, und damit bleibt sie der Tiefe und dem Verständnis treu.

Unser Spielplatz ist das tägliche Leben

Dieses Leben spielt sich ab im eigenen Körper, dem einzigen Raum, in dem ich Einfluss darauf habe, WO und WIE ich meine Wünsche, meinen persönlichen Willen und seine Absichten verkörpere, praktiziere und lebe.

WO und WIE kann ich körperlich offen und weich sein, wenn die klare Erkenntnis erschreckend und schmerzhaft ist? Und WAS gibt mit Spannung oder Härte im Körper?

WO und WIE kann ich körperlich friedlich und frei sein, wenn ich gewalttätig angegangen werde und obendrein versucht wird, mir die Schuld an der Gewalt unterzuschieben? WO im Körper lehne ich Gewalt ab? Und WIE habe ich dadurch noch Zugriff auf meine Gewalt, wenn ich sie mal brauche, um sehr klare Grenzen zu setzen und um das zu schützen, was mir am Herzen liegt?

WO und WIE bin ich körperlich verständnisvoll, wenn meine Loyalität und mein Freundschaftssinn im echten Konflikt stehen mit meinem Gerechtigkeitssinn?

Und siehe da, sobald ich mich auf mein eigenes Einflussgebiet, auf meinen Körper, auf meine Energie besinne, dann kann ich wieder atmen, kann ich mich wieder gut spüren. In diesem körperlichen Raum treffe ich auf einen noch grundlegenderen Willen in mir, der sich so anfühlt als ob wir uns vor Ewigkeiten verabredet hätten. Ich spüre eine weite und sehr alte Kraft, die sich ihrer selbst so sicher ist, dass sie nachgeben kann. Ich spüre Flexibilität, große emotionale Klugheit, Ruhe, Überraschung, tiefes Mitgefühl, Dankbarkeit und die Möglichkeit zu Verzeihen.

WO und WIE verkörpere ich diesen alten Willen bereits im Körper? WO und WIE kann ich noch selbstverständlicher, noch flexibler sein in meinen Körperstrukturen und damit auch in meinem Fühlen, Spüren und Denken, in meiner Art zu kommunizieren? Wobei sich Selbstvertrauen, Flexibilität, emotionales Verhalten, Ruhe und Mitgefühl darin zeigen, WIE ich einatme und ausatme. WO ich Muskeln anspanne und WIE ich sie wieder entspanne. Wie ich Ja und Nein sagen kann. Wie ich mitfühlen kann, ohne mitzuleiden. Wie ich verzeihen kann, ohne dass ich den Shit, den ich gesehen, gehört und gespürt habe, gutheißen muss. Wir sind komplexe Tierchen.

Katrin Pauline Müller, 2024

Katrin Pauline Müller, 2024

Ich liebe das Lernen mit meinem Körper. Hier lerne ich einfach und gerne. Auch dann wenn es schwierig ist, will ich immer weiter gehen. Ich weiß inzwischen auch warum. Ich wünsche auch anderen Menschen diese Liebe zur lebendigen Kraft des Körpers. Und ich weiß inzwischen auch, diese Liebe teilen wir nicht alle mit solcher Leidenschaft, wie ich es tue. Schließlich gibt es 1001 Möglichkeiten.

Es gab eine Zeit in meinem Leben, da wollte ich nicht mehr nah dran sein an dem, was so Menschen mit ihrem Körper, ihrem Herz, ihrem Willen, mit ihrem Leben machen. Mit diesem Schmerz wollte ich nichts zu tun haben. Auch nicht in mir selber. Doch dann ist alles so oberflächlich, dann vermisse ich die Nähe mit dem Leben, mit Körpern, mit der Energie von Empfindungen und Emotionen. Ein paar Jahre habe ich es mit einem Kompromiss versucht. Vielleicht hab ich einfach eine Pause oder Zeit gebraucht, vielleicht stand auch an, mich vor allem um meine Tochter zu kümmern. Und dann hat mich das Leben wieder eingefangen und mich an meine tiefe Liebe zu dieser Verbundenheit des Lebendigen erinnert.

(Veröffentlicht am 21.06.2023 auf Matristische Moderne via Steady)