In meinem letzten Newsletter ging es um das große Thema von CARE. Der folgende Text ist eine Art Fortsetzung, die sich dem ebenso große Thema von SELF-CARE widmet. Schließlich beginnt jede Art der Fürsorge bei sich selbst.
Hast du in deiner Kindheit gelernt, dass egoistisch sein verpönt ist? Dass es problematisch ist, wenn du dich um dich selber drehst, du auf der Suche bist nach einem Selbst? Oder dass du komisch bist, weil du wissen willst, wer du bist, weil du Interessen folgst, die nur DU spannend findest? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Schließlich gilt Egoismus ganz generell als schlechte Angewohnheit. Stattdessen sollen vor allem Mädchen sich schon früh um andere Menschen kümmern und Jungs sollen stark sein und klarkommen. Doch das, was da als gut, richtig und wichtig für das eigene Wohlergehen präsentiert wird, das bringt ein echtes Dilemma mit sich.
Denn, wie kannst du dich jemals um einen anderen Menschen, um ein anderes Lebewesen kümmern, wenn du nie gelernt hast, dich wirklich um dich selbst zu kümmern?
Wie kannst du jemals annehmen, dass sich auch ein anderer Mensch sorgt, sich um dich sorgt, wenn du diese Erfahrung nicht kennst oder nur aus kindlichen Abhängigkeitsstrukturen, die so oft an starke Bedingungen geknüpft sind.
Der Zeitgeist ordnet Menschen, die offensichtlich mit sich selbst beschäftigt sind, die deutlich den eigenen Interessen folgen, sehr schnell dem Narzissmus zu. Eine einfache Zuschreibung, die auf den zweiten Blick ein deutlich breiteres Spektrum umfasst und die sehr viel komplexer ist als eine Fünf-Punkte-Cancel-Liste. Ich habe den Eindruck, dieser Trend dient auch dazu, ein tief verankertes Unbehagen neu zu bekräftigen, das allem anhaftet, was mit Self-Care zu tun hat. Nach wie vor werden Menschen darauf trainiert, nicht egoistisch sein zu wollen.
Was für sehr viele Menschen die Grundlage ihres sozialen Selbstverständnisses darstellt, beruht im Grunde auf einer gelernten Selbstverleugnung, die von sozialen Ängsten genährt wird. Ein höfliches Zurückhalten hier, ein demütiges Abwarten da, bis hoffentlich irgendwann alle glücklich und zufrieden sind, das hat noch selten zu etwas Gutem geführt. Im Gegenteil, schürt es doch Leere, Schuldgefühle, Frust, Neid, Ärger und Hass. Es hält Menschen gefangen in der verbotenen Suche nach sich selbst und ist letzten Endes ein verpasstes Leben an Möglichkeiten.
Foto: Gather Journal, Summer 2015
Jedes Kind erkundet die Welt ausgehend von sich selbst. Und ausgehend davon, wie sich um dieses Kind gekümmert wird, wie es Self-Care lernt, Hier entstehen die Grundlagen des um sich Kümmern lassen und des sich selber Kümmerns. Eine Dynamik, die im Idealfall flexibel ist mit sich verändernden Lebensumständen.
Was lerne ich über mich, wenn ich darauf achte, worüber ich wieder und wieder stolpere? Wo es mich hinzieht, was mir ein Lächeln, ein Stirnrunzeln oder ein Staunen ins Gesicht zaubert? Wenn ich wirklich zuhöre, was erzähle ich über mich selbst, über meine Erfahrungen, meine Interessen und meine Werte? Wie wichtig nehme ich das, was ich da höre? Sprich, wie kümmere ich mich um das, was ich wahrnehme? Mache ich mich selber fertig oder pflege und beschütze ich mich? Und kann ich auch die Aspekte meiner selbst annehmen, von denen ich gelernt habe, sie nicht sooo gerne zu mögen? Self-Care bedeutet mich selbst zu lieben.
Diese Akzeptanz, diese Liebe, die sucht jeder Mensch. Und wir alle suchen sie im Außen. So wurden wir erzogen und dafür sind wir gut, zurückhaltend, stark und erfolgreich. Leider verpassen wir die Liebe so immer wieder. Selbst dann, wenn die Liebe uns im Außen begegnet, uns im Außen spiegelt. Solange wir sie im Inneren nicht spüren, schenken wir ihr im Außen meistens keinen Glauben.
Das, was ich hier als »Liebe« bezeichne, ist ein Zustand von Ganzheit und damit von Heilung. Ganzheit braucht Übung und Zeit, sie wächst und sie dehnt sich ein Leben lang aus. Sie lernt aus Fehlern. Und jede Liebe ist ein bisschen anders: Die eine ist wild und frei und loyal, die nächste romantisch, ruhig und voller Überraschungen. JedeR von uns trägt eine einzigartige Liebe in sich und die Missverständnisse darüber sind viele. Wir fordern von anderen Menschen täglich, dass sie uns so lieben müssen, wie es unserer Liebe entspricht, anstatt uns von ihrer Liebe berühren zu lassen. Wie wäre es, wenn wir stattdessen anfangen uns selbst zu lieben? So dass wir unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten der Liebe begegnen können.
Ich bin du und du bist ich
Der nächste Schritt, der von einem Selbst, das sich selbst liebt auf ein Du zugeht, der kann auch mal selbstlos sein. Wenn ich mich gut um mich selbst kümmere, dann habe ich einen sicheren inneren Raum, von dem ich mich immer wieder auch entfernen kann. Ich kann die Welt auch erkunden, ohne dass ich etwas brauche oder will und stattdessen einfach meiner Neugier folgen.
Wenn ich mich selbst vergessen kann, dann ist es auch viel einfacher, andere Menschen so sein zu lassen, wie die nun mal sind. Dann kann ich meine kostbare Aufmerksamkeit wirklich auf das beziehen, was mir im Außen begegnet. Und weil ungeteilte Aufmerksamkeit so wertvoll ist, so ist sie stets ein Ausdruck meiner Liebe.
Um mich wirklich um andere Menschen, um andere Lebewesen, um die Erde zu kümmern, dafür braucht es eine tiefe Fürsorge um mich selbst. Nur dann habe ich die nötige Sicherheit, damit aufzuhören ständig um mich selbst zu kreisen. Die Welt braucht unsere Ganzheit.
Eine Welt, die eingebettet ist in einen Raum, den wir natürliche Welt, Natur oder Umwelt nennen. Und dort in jedem noch so unscheinbaren Blatt, in jedem Sonnenstrahl und in jedem Regentropfen treffen wir auf das, was so erschreckend überraschend ist: Die Erde, sie liebt uns genau so.
(Veröffentlicht am 25.01.2024 auf Matristische Moderne via Steady)