Ich mache dieses Jahr eine neue Art der Winterruhe, die mir sehr gut tut. Mich auf den Fluss und das Tempo des Winters einzulassen, fühlt sich erholsam und nährend an und bricht mit einer überholten emotionalen Beurteilung, welche ich hiermit neu definiere. Bitte lies die nachfolgenden Zeilen, wie bei allen meinen Texten, als ausformuliertes Fragment einer Erfahrung und Überlegung. Als Einblick in eine Momentaufnahme meiner individuellen Wahrheit, die dem stetigen Wandel unterliegt.
Die Gedanken dieses Textes sind, neben dem was in meinem Alltag passiert, inspiriert durch die letzte Assistenzwoche bei der Body-Mind Ausbildung ANIMANO meiner lieben Freundin Barbara. Es ging um das mysteriöse Reich des Wassers, das um Energie, Emotion und Lernen kreist.
Für viele Menschen im heutigen Europa ist das Leben anstrengend, stressig, kompliziert und ermüdend, obwohl ein relativ hohes Maß an Wohlstand und Sicherheit gegeben ist. Stets ist da ein Wunsch nach mehr Ruhe, mehr Zeit, mehr Liebe, mehr Geld oder mehr XY. Und so kommt es, dass enorm viel Lebenskraft und Lebenszeit dafür eingesetzt wird, um zu suchen, zu erschaffen und das zu erreichen, was eine Besänftigung des Mangels verspricht. Parallel wird das bekämpft, was scheinbar falsch ist und anders sein sollte.
Wie könnte ein müheloseres Leben gelingen, inmitten der eigenen Komplexität und den täglichen Herausforderungen, die so oft außerhalb der persönlichen Kontrolle zu liegen scheinen?
Wie lassen sich die zutiefst menschlichen Wünsche nach Beziehung, nach Individualität und nach Resonanz erfahren, ohne automatisch in einen Modus der Anstrengung zu verfallen? Wobei mit der Anstrengung selbst alles fein ist, schließlich gibt sie stets ihr Bestes, um Wünsche zu erfüllen. Und doch suggeriert das automatische Ausweichen in Extras, dass mit dem was ist, etwas nicht ok ist. Dieses Etwas ist entweder das eigene Wesen, andere Wesen oder gar das Leben persönlich.
Wie lassen sich die zutiefst menschlichen Wünsche nach Beziehung, nach Individualität und nach Resonanz erfahren, ohne automatisch in einen Modus der Anstrengung zu verfallen? Wobei mit der Anstrengung selbst alles fein ist, schließlich gibt sie stets ihr Bestes, um Wünsche erfüllen. Und doch suggeriert das automatische Ausweichen in Extras, dass mit dem was ist, etwas nicht ok ist. Dieses Etwas ist entweder das eigene Wesen, andere Wesen oder gar das Leben persönlich.
Wie können wir uns selbst, Anderen und dem Leben wieder vertrauen und Herausforderungen zu einem interessanten Abenteuer werden lassen, welches uns wachsen lässt? Und wie können wir ausruhen, integrieren und genießen, wenn es mal nichts zu meistern gibt?
Bild: Malwine Strauss, Water Witch, Germany 2019, The Library Of Esoterica, Witchcraft, Taschen
Wie nimmst du deinen individuellen Fluss wahr, mit dem du durchs Leben mäanderst? Befindest du dich aktuell in einer Pfütze, zwischen Stromschnellen, im Atlantik oder im Amazonasgebiet?
Wie ist deine Art, mit dem Fluss des Lebens in Kontakt zu treten? Erlaubst du, dass er dich zu unbekannten Ufern trägt oder strampelst du fest dagegen an, so dass deine Beine schon ganz taub sind? Hast du dich irgendwann auf den Boden sinken lassen und verbringst deine Zeit damit, reglos und sehnsüchtig nach oben zu schauen, dahin wo die Sonne hell ist? Oder ist es streng verboten, dass dein Kopf jemals unter Wasser gerät? Erlaubst du dir Ruhepausen von der Strömung, ein ans Land gehen und die Erfahrung von Boden unter den Füßen? Und wie geschmeidig bist du im Wechselspiel von Bewegung, Anstrengung und Ausruhen? Neigst du dazu, schneller zu schwimmen als nötig oder willst du verlangsamen, sobald die Wellen wilder werden?
Hier gibt es so viele Variablen, wie es Menschen gibt und kein »Richtig« oder »Falsch«. Vielmehr sind es unterschiedliche Geschichten, Strategien und Routinen, von denen wir uns inspirieren lassen und lernen, wie ein Leben im Fluss sein kann.
Auf dem poetischen Podcast The Emerald gibt es eine schöne Folge zum Thema »Resonanz«. Hör gerne rein, mit Zeit und Raum!
Vom Wunsch zur Verkörperung
Welche Art von Flow wünschst du dir für dein Leben und in welchen Situationen, bei welchen Tätigkeiten oder mit welchen Menschen hast du bereits ein Gefühl für den gewünschten Zustand entwickelt? Wie fühlt sich die Energie in deinem Körper an, allein beim daran denken? Welche Empfindungen spürst du, welch emotionale Fährte nimmst du auf?
Somatisch betrachtet ist jeder lebendige Körper ein verdichteter Ausdruck von Energie, welche sich ganz konkret als fließen, vibrieren, zittern oder ausdehnen erfahren lässt. Ein Körperwesen ist als kalter Schauer und warme Brise stets in Bewegung: Die Wellen steigen mit dem Einatmen hoch über den Kopf hinaus, mit der Ausatmung sinken sie wieder zurück zu den Füßen, zur Erde, zur Quelle.
Je nachdem wie du diesem Fluss gegenüberstehst, darf er sich im eigenen Schub erweitern oder er stößt an seine Grenzen, sprich gegen angespannte Muskeln, verklebte Faszien, enge Gelenkspalten oder einschränkende Gedankenmuster. Doch selbst dann findet er immer die subtilste Lücke, durch die er seinem Wesen folgt. Schließlich ist Flow das, was »Gesundheit« definiert und jede Blockade im Fluss, was »Krankheit« beschreibt. Jedes Hindernis ermöglicht eine Neuausrichtung im Fluss und kann damit zu »Heilung« führen.
So trägt der große Fluss auch alle Wünsche in sich und ein Wunsch ist dann erfüllt, wenn du dich in ihn einsinken lässt und seine spezifische Qualität verkörperst. Nun wird der Flow von Individualität, der mir einfach eine Sache von Stil und Geschmack zu sein scheint, endlich wieder zu dem, was er ist: Ein Ausschnitt aus etwas sehr viel mächtigerem. Die Quelle flüstert stets »es ist genug«.
Der Schlüssel liegt in dir
Wenn ich meinem eigenen Fluss und damit dem umfassenderen Fluss nachgebe, dann ist das schwierig und einfach zugleich. Und jedes Mal staune ich über das feine Arrangement der Strömung. Da ist etwas, das ich mag und dem ich doch mit Skepsis gegenüberstehe, solange ich, gefangen in der eigenen Begrenztheit, versuche mich unabhängig zu bewegen. Doch der alte Fluss zeigt mir geduldig, wie ich echte Kontrolle über mein Leben nur dann erfahre, wenn ich mich seiner Kraft anvertraue.
Dieses Vertrauen erlaubt dem Leben, mich zu unterstützen und mir, seine Geschenke wertzuschätzen: Ich erfahre Entspannung, Leichtigkeit und Resonanz. Und ich muss weniger individuell sein, denn ich bin schon einzigartig. Stattdessen genieße ich die kleinen Momente, den Kaffee am Morgen im Bett, das Lächeln eines anderen Menschen in der Tram, die Wärmflasche und die Vögel am Himmel. Im Vergleich zum Meer bin ich stets ein Tropfen und doch besteht das Meer aus nichts als diesen Tropfen.
Was erlebst du, wenn du dich dem Strom überlässt, der in dir fließt und dich umgibt?
Im alten Jahreskreis steht das Fest von Imbolc vor der Tür, welches entweder zum zweiten Vollmond im neuen Jahr oder in der Nacht vom 1. auf den 2. Februar gefeiert wird. Es symbolisiert die Mitte zwischen der vergangenen Wintersonnenwende und der kommenden Frühlings-Tagundnachtgleiche. Das Licht wird stärker, die Natur erwacht, während sie noch im Verborgenen liegt. Der Fluss verändert erneut seine Qualität und schon ganz bald treten wir wieder mehr in die Welt.
(Veröffentlicht am 01.02.2023 auf Matristische Moderne via Steady)